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Die

literarische

Expertenmeinung


Herr Zsigmond Móricz

zum Thema

Armut

   

 

Zitat aus: Zsigmond Móricz (1879-1942) "Das Rindvieh mit dem Adelsbrief"
Verlag der Nation, Berlin, 1979


"Sieben Kreuzer"

Nach dem weisen Ratschluss der Götter ist es auch armen Leuten vergönnt zu lachen. So kann man also in den Hütten der Armen nicht nur weinen und stöhnen, sondern manchmal auch lachen hören. Natürlich lachen sie hin und wieder, obwohl sie eher Grund zum Weinen hätten.
Ich kenn diese Welt des Elends sehr gut, denn meine ganze Verwandtschaft hat die Armut gründlich ausgekostet. Mein Vater, der Tagelöhner in einer Maschinenwerkstatt war, klagte aber niemals darüber, obgleich er allen Grund dazu gehabt hätte.
Und dennoch ist es wahr, dass ich nie mehr im meinem späteren Leben so viel gelacht habe wie in den Jahren meiner Kindheit.
Wie könnte ich denn heute auch noch so lachen, da ich meine rotwangige, immer heitere Mutter nicht mehr habe, die so von Herzen lachen konnte, dass ihr am Ende die Tränen kamen und dass sie husten musste fast bis zum Ersticken...
Und am allermeisten hat sie wohl an jenem Nachmittag gelacht, an dem wir zu zweit sieben Kreuzer zusammensuchten, die so schwer aufzustöbern waren.
Die ersten drei Kreuzer hatte meine Mutter noch allein gefunden. Nun meinte sie, sie würde im Schubfach der Nähmaschine noch mehr finden, weil sie für Geld nähte und ihren Verdienst immer dorthinein legte. Für mich war dieses Schubfach eine unerschöpfliche Schatzgrube. Man brauchte nur hineinzugreifen, um gleich ein ganzes "Tischleindeckdich" zu haben.
Deshalb war ich sehr erstaunt, dass meine Mutter an jenem Nachmittag, nachdem sie eine Weile zwischen Fingerhut, Schere, Nadeln, Schleifen, Bändern und Knöpfen herumgewühlt hatte, plötzlich verwundert fragte: Haben sie sich etwa versteckt?"
"Wer denn" fragte ich.
"Nun, die Geldstückchen!" sagte meine Mutter lachend und zog das Schubfach ganz heraus. "Komm, mein Junge, jetzt wollen wir die Schelme aber aus ihren Schlupflöchern holen! Wie sie sich verstecken! Ach, ihr bösen Kreuzerchen!"
Sie kauerte sich auf den Boden, stellte das Schubfach vor uns hin und tat so, als habe sie Angst, die Kreuzer könnten davon fliegen. Dann kippte sie die Schublade mit einem Schwung, so wie man mit dem Hut einen Schmetterling fängt, ganz schnell um. Unmöglich, dabei nicht zu lachen"
"Jetzt haben wir sie!" sagte sie lachend, ohne den Kasten hochzuheben. "Und wenn es auch nur ein Kreuzerchen ist - da drunter muss es jetzt sein!"
Ich kniete mich hin und belauerte den Kasten, als könnte unter ihm ein ein blankes Geldstück hervorkriechen. Aber es bewegte sich nichts. Im Grunde glaubten wir beide nicht recht, dass etwas drunter sei. Deshalb sahen wir uns plötzlich gegenseitig an und mussten über den kindlichen Scherz lachen. Nun fasste ich nach der mit dem Boden nach oben gekehrten Schublade.
"Pst!" flüsterte da meine Mutter. "Leise, sonst hüpfen sie uns am Ende noch weg. Du weißt ja gar nicht, was für ein flinkes Biest so ei Kreuzer ist! Ganz schnell rollt der davon. Was meinst du, wie schnell der kullert!"
Wir schüttelten uns vor Lachen, denn allzu oft schon hatten wir erfahren müssen, wie leicht einem die Kreuzer unter den Händen davon rollen! Als wir uns wieder beruhigt hatten, streckte ich abermals die Hand aus, um den Kasten hochzuheben.
"Au!" rief meine Mutter so scharf, dass ich erschrak und meine Finger zurückriss, als hätten sie die heiße Herdplatte berührt. "Pass auf, du kleiner Verschwender! Wie du dich doch beeilst, ihnen die Tür zu zeigen! Solange sie noch hier drunter sind, sind sie unser - sollen sie's noch ein bisschen bleiben! Denn siehst du, ich muss waschen, und dazu braucht man Seife. Für Seife aber braucht man mindestens sieben Kreuzer; für weniger bekommt man keine. Drei Kreuzer habe ich schon, vier brauche ich also noch. Und die sind in diesem kleinen Häuschen! Hier drin wohnen sie. Aber sie haben's nicht gern, wenn sie gestört werden; dann werden sie böse und laufen weg, und wir kriegen sie nie mehr zu sehen. Pass also immer schön auf, denn Geld ist sehr empfindlich. Man muss sehr behutsam damit umgehen, sehr taktvoll; es ist leicht eingeschnappt, genau wie die feinen Fräulein... Kennst du nicht irgend ein Locksprüchlein? Vielleicht können wir's damit aus dem Schneckenhaus hervorlocken?"
Nun fing ich an aufzusagen:

"Onkelchen Geld, Onkelchen Geld,
komm aus deinem Häuschen raus,
wir strecken schon alle fünf Finger aus!"

Und damit drehte sich das "Häuschen" um.
Hunderterlei Krimskrams breitete sich vor uns aus - nur Geld war keins dabei. Meine Mutter wühlte alles mit säuerlich geschürzten Lippen durch, aber vergebens!"
"Wie schade", sagte sie, dass wir den Kasten nicht auf dem Tisch ausgekippt haben... Dann wäre die Ehrung größer gewesen, und sicher hätten sich ein paar Kreuzer sehen lassen..."
Ich kramte nun das Zeug wieder zusammen und stopfte es zurück in die Schublade. Meine Mutter zerbrach sich unterdessen den Kopf, ob sie nicht einmal irgendwo Geld hingelegt habe, aber es fiel ihr nichts ein. Da regte sich plötzlich mein Gewissen.
"Mama, ich weiß, wo noch ein Kreuzer steckt!"
"Wo denn, mein Junge? Den wollen wir aber schnell holen, bevor er wie Schnee zerschmilzt!"
"Dort im Glasschrank!"
Wie gut, dass mir das nicht schon früher einmal eingefallen war - sonst hätten wir den jetzt auch nicht mehr gehabt!
Wir standen auf und gingen zum Glasschrank. Der hatte zwar schon lange kein Glas mehr, aber in seiner Schublade war tatsächlich ein Kreuzer. Seit drei Tagen rang ich nämlich schon mit mir, ihn zu stibitzen, ich hatte nur den Mut nicht dazu aufbringen können.
"Nun, vier Kreuzer hätten wir also zusammen! Keine Sorge, mein Junge, über die Hälfte ist schon da - nun brauchen wir nur noch drei. Und wenn wir's in einer Stunde mit diesem vieren geschafft haben, dann werden wir bis zum Vespern wohl auch die übrigen drei noch finden. Und dann kann ich bis zum Abend immer noch allerhand waschen. Komm schnell, vielleicht sind in den anderen Schubladen auch noch welche!"
Ja, wenn nur in jeder ein Kreuzer gewesen wäre! Dann wäre allerhand zusammengekommen, denn der alte Schrank hatte in seinen jüngeren Jahren in einem Hause gedient, in dem es viel zu verstecken gab. Bei uns hatte der Arme keine schweren Lasten zu tragen., deshalb war er auch inzwischen so verkümmert, so wurmstichig und klapprig geworden.
Meine Mutter hielt bei jedem Schubfach eine kleine Rede.
"Dieser ist beziehungsweise war ein reicher Schubkasten. - Der da hat niemals was Rechtes in sich gehabt. - Ach, und dieser hier hat immer nur auf Pump gelebt! Nun, du böser, lumpiger Bettler, auch du hast nicht mal einen einzigen Kreuzer? - Und dieser hier? Na, der wird auch nichts haben, der hütet unsere Armut. - Aber du dort - niemals sollst du was haben, wenn du mir jetzt nichts gibst, wo ich dich zum ersten Mal darum bitte! - Sieh mal, der hier hat das meiste!" rief sie dann und riss lachend den untersten Schubkasten heraus, der keinen Boden mehr hatte. Sie hängte ihn mir um den Hals, und wir setzten uns vor Lachen auf den Boden.
"Warte mal", sagte meine Mutter plötzlich, "bald werden wir Geld haben! In Vaters Anzug - dort werde ich sicher was finden!"
In die Wand waren Nägel eingeschlagen, an denen unsere Kleider hingen. Und, Wunder über Wunder: Gleich in der ersten Tasche, in die meine Mutter griff, kam ihr ein Kreuzer unter die Finger! Sie wollte ihren Augen nicht trauen.
"Dich habe ich!" rief sie aus. "Hier ist er! Wieviel haben wir also? Gleich mal zusammenzählen: eins, zwei, drei, vier, fünf - fünf! Wo fünf sind, da finden sich auch noch zwei dazu."
Mit fröhlichen Eifer durchsuchte sie nun auch die anderen Taschen des Anzugs. Leider vergebens - nicht einen einzigen Kreuzer mehr fand sie.
Auf dem Gesicht meiner Mutter flammten vor lauter Aufregung bereits große rote Flecke auf, aber auch der der beste Spaß vermochte nicht, noch irgendwo zwei Kreuzer herbeizuzaubern. Die Vesperzeit kam und ging vorüber, und es wurde Abend. Mein Vater brauchte für den nächsten Tag ein frisches Hemd, und es war meiner Mutter nicht möglich, zu waschen.
Brunnenwasser allein nützte ja nichts gegen Ölflecke...
Auf einmal tippte sich meine Mutter an die Stirn. "Oh, oh, ich Esel! Meine eigene Tasche - ausgerechnet in der sehe ich nicht nach!"
Sie sah nach und - schau einer an! - fand auch dort einen Kreuzer: den sechsten! Wir wurden ganz fiebrig vor Eifer, denn nun brauchten wir nur noch einen. Einen einzigen Kreuzer noch!
"Zeig auch deinen Taschen mal! Vielleicht ist auch da einer drin..."
In meinen Taschen? Die konnte ich leicht zeigen, da war bestimmt nichts drin!
Mit unseren sechs Kreuzern konnten wir genauso viel anfangen, wie wenn wir gar nichts gehabt hätten; denn der Krämer gab keinen Kredit, und die Nachbarn waren ebenso arme Teufel wie wir - und wir wären wegen eines einzigen Kreuzers auch gewiss nicht pumpen gegangen. Es blieb uns also nichts anderes übrig - als trotzdem zu lachen.
Auf einmal erschien ein Bettler vor unserer Tür und leierte in singendem Tonfall eine lange Litanei herunter. Meiner Mutter wurde fast schwindlig, so musste sie darüber lachen.
"Lassen Sie's gut sein, lieber Mann", sagte sie, "ich krieche schon den ganzen Nachmittag in allen Ecken herum, weil mir noch kein Kreuzer für ein halbes Pfund Seife fehlt."
Der Bettler, ein alter Mann mit einem stillen Gesicht, machte große Augen.
"Ein Kreuzer fehlt Ihnen?" fragte er.
"Ja, so ist's."
"Den gebe ich Ihnen gern!"
"Das wäre ja noch schöner, Almosen von einem Bettler anzunehmen!"
"Lass nur, meine Tochter, mir wird er nicht fehlen! Mir fehlt nur eins - ein Spaten Erde; dann wird alles gut."
Damit drückte er mir einen Kreuzer in die Hand und zog unter vielen Segenswünschen weiter.
"Na, Gott sei dank", sagte meine Mutter, "nun lauf aber..." Dann stockte sie, überlegte einen Augenblick und brach schließlich in ein langes, schallendes Gelächter aus. "Nun haben wir endlich unsere sieben kreuzer beisammen, und ich kann heute trotzdem nicht mehr waschen! Es ist doch schon zu dunkel, und Öl für die Lampe habe ich auch keins mehr..."
Vor Lachen musste sie husten; ein quälender, mörderischer Hustenanfall überkam sie. Als ich sie stützen wollte, weil sie, das Gesicht in den Händen vergraben, hin und her schwankte, da strömte etwas Warmes über meine Hand...
Es war Blut - das teure Blut meiner guten Mutter, die so lachen konnte wie nur wenige unter den armen Leuten.
1908

Übertragen von Almos Csongár

gefunden 2008 von I. Körner @
Hobby-Geschichtenleserin
War das nicht den Erzählungen meiner Oma Erna, geb. 1908, verwandt ?

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