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Ein Sommertag (zwischen
Sense und Mähdrescher)
Das „Oho, das
war ein Gewitterchen, sagte Heiner, kratzte sich
hinterm Ohr und steckte vorsichtig seinen Kopf
hinaus. Für uns Geschwister gab es aber keinen
Grund zum Fürchten. Wir hielten uns aneinander
fest. Wir hatten eine ordentliche Unterkunft und
davor die große, starke Erna. Nun ließ der Regen
nach. Der Himmel klarte auf. Die blauschwarzen,
regenschweren Wolken verzogen sich. Und in der
Ferne tauchten die ersten weißen Haufenwolken
auf. Klotzschens Erna, die hier als Großmagd
eine bestimmte Position innehatte, holte tief
Luft und stand auf. Auch wir Kinder krochen aus
unserer Kornpuppe und atmeten tief die
gereinigte Luft ein. Meine Mutter sah ich und
die Bauersfrau und all die anderen Feldarbeiter
wie sie aus ihren Kornpuppen kamen und an ihre
Plätze gingen. Der Bauer war wohl die ganze Zeit
bei den Pferden geblieben und hatte sie schon
allein durch seine Anwesenheit beruhigt. Jetzt
war die Haumaschine sofort einsatzbereit. Im
Lesebuch fanden wir später das Wort Mähmaschine.
Belustigt riefen wir: „mäh, mäh“. Bei uns wurde
das Korn gehauen und nicht gemäht. Später lernte
ich, dass das Getreide, das hier in der
Lötzschner Gegend vorwiegend angebaut wurde,
Roggen heißt. Der sandige Boden hier war für den
Roggenanbau bestens geeignet. Bauer Jahn
fasste die Zügel seiner beiden Braunen. Mit
„Hühe!“ und „Hudde! Hudde rum!“ dirigierte er
die Haumaschine an der einen Flanke des
Kornfeldes hinauf und an der anderen wieder
zurück. Dabei schnitt das Messer der Maschine
einen breiten Streifen des Getreides ab. Wenn
die Pferde vorbei waren, griff jede der Frauen
zuerst nach einem dünnen Bündel Stroh. Das wurde
gedreht. Dann wurde dieses Strohseil um ein
dickeres Bündel geschlungen und verknotet. So
war dann eine Garbe entstanden. Auch unsere
Mutter band Garben – flink eine nach der
anderen. Denn bald kam der Bauer mit seinen
Pferden und wollte weiter. Unsere Mutter war
Verkäuferin und die Feldarbeit nicht gewöhnt.
Ihr Rücken schmerzte fürchterlich. Doch sie biss
die Zähne zusammen. Die Garben, die unsere
Mutter gebunden hatte, trug Heiner zu
Klotzschens Erna. Ich half ein wenig mit. Unser
jüngerer Bruder Siggi war dazu noch zu schwach.
Es war schon gut, wenn er mit aufs Feld genommen
werden konnte. Kindergärten gab es nicht. Auch
die anderen jüngeren Helfer schleppten Garben
herbei. Erna und andere Mägde setzten die Garben
zu Kornpuppen auf. Das war fast eine Kunst. Eine
Garbe kommt in die Mitte, eine von links, eine
von rechts, eine von vorn und eine von hinten.
Weizen- oder Haferpuppen werden anders
aufgesetzt. Manchmal passierte es, dass der Wind
hinein fuhr und alle Kornpuppen umwarf,
reihenweise. Dann mussten sie wieder neu
aufgestellt werden. Denn nur so konnte das
Getreide trocknen. Alle hofften, dass es nun in
den nächsten Tagen nicht regnete und dass die
Sonne weiter so heftig scheinen würde bis das
Thermometer 30° anzeigte. Nur trockenes Getreide
darf in die Scheune. Das Einfahren war eine
besondere Kunst. Klotzschens Erna habe ich
bewundert. Sie hatte Erfahrung. Die Knechte
reichten die Garben mit langen Gabeln hinauf auf
den Leiterwagen. Die Leitern des Wagens waren
nicht sehr hoch. Aber Erna schichtete immer
weiter, immer höher. Das machte sie so
geschickt, dass der Stapel außen fast glatte
Wände hatte. Es wäre eine Schande gewesen, wenn
auf dem Heimweg, Garben herunter gefallen wären.
Mein Traum war es, einmal da hoch oben mit Erna
nach Hause zu fahren. Zu Hause wurden die Garben
in die Scheune gebanselt. Dort lagen sie bis
eines Tages im Spätherbst oder Winter die
Dreschmaschine ins Dorf kam. Doch das wäre schon
wieder eine andere Geschichte. Waren die
Felder abgeräumt, ging unsere Mutter mit uns
Kindern Ähren lesen. Jeder trug einen großen
Leinenbeutel. Wir sammelten die Ähren auf, die
abgebrochen oder sonst wie heruntergefallen
waren. Sie bildeten die Grundlage für unsere
morgendliche Schrotsuppe. Natürlich nicht mit
Strohrestern, Spelzen und Grannen. Bis dahin war
erst noch viel Arbeit nötig.
H. Lorenz, Oktober
2016 ist Mitglied im Prohliser Schreibcafé
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